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Main Echo, 08.06.2002

Eine Kachel aus Dieburg beweist: Wiesener Schloss ist älter als gedacht

by Doris Pfaff


Funde weisen auf Vorgängerbauten - Wiesen ein „Strategisch wichtiger Stützpunkt“?

Wiesen (Kreis Aschaffenburg). Die kulturhistorische Bedeutung der Spessartgemeinde Wiesen hat anscheinend einen wesentlich höheren Stellenwert als bisher angenommen. Außergewöhnliche Funde und spezielle Untersuchungen im Wiesen Schloss werfen ein neues Licht auf die ursprüngliche Struktur des 1339 erstmals urkundlich erwähnten Dorfes.

Nach chronistischen Quellen datiert man den Bau des ehemaligen Jagdschlosses bislang auf 1597 Das geschichtsträchtige Baudenkmal, das seit 1996 Dr. Ingo Gräfling aus Aschaffenburg gehört, erweist sich immer mehr als eine Schatztruhe der Vergangenheit Wahrend der laufenden Restaurationsarbeiten kamen zunächst gotische Nischenkachelstücke mit Reliefen von Speichenrad und Hirschen zum Vorschein. Sie ließen vermuten, dass dem Wiesener Jagdschloss schon um 1400 ein Vorgängerbau mit einem zu seiner Zeit luxuriösen und technisch aufwendigen Kachelofen vorausging.

Erstaunliches Heizsystem

Im Rahmen des »Archäologischen Spessartprojekts« (ASP). das einen Kulturrundweg in Wiesen plant, traf sich vor einigen Tagen erneut eine Arbeitsgruppe aus Fachleuten und interessierten Wiesener Bürgern zu einem Informationsaustausch. Kunsthistoriker Harald Rosmanitz vom Europaprojekt „Pathways to Cultural Landscapes“ mit Koordinationsbüro in Lohr erläuterte seine neuesten Erkenntnisse Als Experte für Keramikkacheln konnte er die Theorie eines „exklusiven“ Schloss-Vorgängerbaus mit erstaunlichem Heizsystem zweifellos erhärten Zu Hilfe kamen dabei Voruntersuchungen und Publikationen von Hans Peter Mielke, Verfasser des ursprünglichen Katalogs des Glasmuseums Wertheim.

Demnach gibt es zu den Wiesener Kacheln vom Typ „Tannenberg“ registrierte analoge Kachelfragmente, gefunden in der Burg Montfort bei Speyer in der Pfalz. Reliefabbildungen und Tonzusammensetzungen dienen als Beweis. „Die Kacheln aus Wiesen und Speyer kommen aus derselben Werkstatt, nämlich Dieburg“, sagte Rosmanitz. Kacheln dieser Art wurden dort seit Mitte des 14 Jahrhunderts mit zeitgenössischen Motiven gefertigt und entlang des Mains und Rheins bis nach Holland gehandelt.

Bedeutsamer Steinbau

Ein weiteres besonderes Kachelstück mit bruchhaften Jagdmotiven von Hirsch und Einhorn sowie dem Schriftzug 1440[Korr. Maria Jesus] fand Dr. Ingo Gräfling vor etwa zwei Monaten bei Ausgrabungen innerhalb seiner Schloßmauern. Die Symbole für »Jesus und Maria« sind um die Zeit von 1400 durchaus gängig, zeigte Rosmanitz mit der Darstellung eines »Minnekästchens« vom Niederrhein (1380)

Dass lange vor der bisher angenommenen Gründungszeit des Schlosses im bäuerlich äußerst arm geltenden Spessart ein bedeutsamer Steinbau stand und dort offenbar ein »reicher Mensch mit repräsentativen und städtischen Ansprüchen« gelebt haben konnte, gewinnt daher zusehends Wahrscheinlichkeit Im Spannungsfeld zwischen Rienecker Grafen und Mainzer Kurfürsten sei Wiesen innerhalb eines wichtigen Handels Wegenetzes (Birkenhainer Straße/Eselsweg) also kein »verlassenes Nest gewesen, sondern ein strategisch wichtiger Stützpunkt«, vermutet Professor Dieter Mollenhauer, ehemaliger Leiter einer Außenstelle des Senckenberg-Instituts (Biebergemünd).

Auf sensationelle Spuren dürften über diese Angelegenheit hinaus die bisherigen Schichtenanalysen und Profiluntersuchungen des Schlossuntergrunds führen Die stratigrafischen Ergebnisse deuten sogar noch auf »frühere Wohnschichten um 1300«, schloss Harald Rosmanitz aus seinen Forschungen Graue Scherbenfunde sind erste Hinweise auf diese Zeit

Zudem seien zwei so genannte »Zerstörungshorizonte« erkennbar. Noch etliche Jahre vor dem Vorgängerbau des Schlosses müsse dort noch ein anderes Haus schon zweimal abgebrannt sein. Erst danach sei das Fundament für den Renaissance-Bau gelegt worden, rekonstruierte Rosmamitz unter Vorbehalt die geschichtlichen Zusammenhänge Die Prüfung der Knochenfunde im Wiesener Schloss und Pollenuntersuchungen könnten zusätzliche wissenschaftliche Resultate einbringen.

Thema für Rundweg ändern?

Die Ausweisung eines Kulturrundwegs für die Gemeinde Wiesen ist für nächstes Jahr vorgesehen. Grundlage des Vorhabens ist das »Archäologische Spessartprojekt«, das sich um die Erforschung und authentische Vermittlung der Kulturlandschaft des Spessarts bemüht. Das Projekt ist angeschlossen am Programm . »European Cultural Path[tsways]« (siehe dazu -»Forscher im Spessart arbeiten Hand in Hand« auf dieser Seite).

Nach einer Idee von Forstdirektor i R Gerhard Kampfmann sollten eigentlich die ehemaligen Glashütten im Birklertal den inhaltlichen Schwerpunkt der sporadisch schon abgesteckten Route in Wiesen bilden Ob dies angesichts der verblüffenden Entwicklungsgeschichte des Wiesener Schlosses so bleibt, muss man jetzt wohl in Frage stellen

 

Im Wiesener Schloß wurde diese Nischenkachel mit dem Schriftzug „Jesus Maria“ in gotischer Schrift (Minuskel) gefunden. Unter dem Schriftzug ist das jeweilige dazugehörige charakterisierende Tier zu sehen: Der Hirsch für das Friedensreich von Jesus und das Einhorn für die Jungfrau Maria. Die Kachel selbst ist an der Oberfläche stark verbrannt, was nahelegt, daß die etwa um 1450 in Dieburg/Hessen entstandene Kachel bei einer Feuersbrunst zerstört wurde.


 
design: Kai M. Wurm
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