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Main Echo, 22.05.2004

Steine und Scherben erzählen

by Jürgen Schreiner


Erfolgreiche Ausgrabungen auf der Ketzelburg - Um 1200 erbaut, nur kurz bewohnt - Erde sorgsam durchsieben

Haibach Nur auf den ersten Blick mutet es wie ein Sandkastenspiel für Erwachsene an: Mit Hacke und Schaufel rückt derzeit ein Grabungsteam der Ketzelburg zu Leibe. Jetzt nach knapp einem Monat ist der Beweis erbracht. Auf dem Ringwall am Eingang zur Haibacher Schweiz stand tatsächlich vor etwa 800 Jahren eine Ritterburg.

»Hier muss ein Graben gewesen sein.« Mit geschultem Blick erkennt Archäologe Harald Rosmanitz - Koordinator des Europaprojektes "Pathways to Cultural Landscapes - anhand von Verfärbungen im Boden frühere Strukturen. Seit 28. April ist der Altertumsforscher mit ehrenamtlichen Helfern des Haibacher Heimat- und Geschichtsvereins dabei, dem Ringwall am »Schlossknickel« seine Geheimnisse zu entlocken.

Schleier lüftete sich

Schon vor fünf Jahren begann sich der Schleier um die sagenumwobene Haibacher Burg zu lüften. Eine geophysikalische Untersuchung im Rahmen des Archäologischen Spessartprojekts - gefördert von Projekt "Kultur 2000" der Europäischen Union gab damals Hinweise auf Fundamente eines Gebäudes, das auf dem Plateau gestanden hat und von Befestigungen und einem Graben umgeben war. Seitdem wussten die Archäologen, wo der Spaten anzusetzen war. Der Heimat- und Geschichtsverein (HGV) Haibach erklärte sich bereit, eine Grabung zu finanzieren, die Gemeinde zahlt 20 Prozent Zuschuss.

Zehn Suchschnitte wurden abgesteckt, die Mehrzahl auf dem Plateau, zwei am umgebenden Graben. Knapp unter der Grasnarbe stießen die Ausgräber auf grob behauene Steine, erste Scherben fanden sich. Nach wenigen Tagen waren große Teile der Grundmauer eines quadratischen Wohnturms mit einer Innenfläche von 25 Quadratmetern freigelegt.

Turm in Leichtbauwelse

»Damit hat sich die These von der mittelalterlichen Burg bestätigt«, erklärt Harald Rosmanitz erfreut. Trotz der spärlichen Reste ist er sich ziemlich sicher, wie der Turm der Ketzelburg ausgesehen hat. Weil die Fundamentmauer nur 60 Zentimeter dick ist, komme nur »Leichtbauweise« in Holz oder Fachwerk in Frage. Der Turm könne höchstens drei Stockwerke gehabt haben - mehr waren vom König nicht erlaubt.

Das Erdgeschoss diente als Lagerraum. Darüber lag das Wohngeschoss des Burgherrn, in dem neben einfachen Möbeln auch ein Ofen gestanden hat, was Kachelfunde beweisen. Im zweiten Stock war wohl ein Schlaf- und Aufenthaltsraum, ganz oben die Wachstube. Das Dach muss mit Schindeln oder Schilf gedeckt gewesen sein, denn von Ziegeln fand sich keine Spur.

Absichtlich aufgegeben?

Damals, vor 800 Jahren, sah die Landschaft ganz anders aus als heute. Der Bergsporn über der »Haibacher Schweiz« war entwaldet, um den Burgbewohnern freie Sicht zu ermöglichen. Noch unklar ist, woher die Erbauer der Burg das Erdreich für den mächtigen Burghügel und den äußeren Wall genommen haben. Der Geologe Jürgen Jung vom Senckenberg Institut hofft, diese Frage mit seinen Bohrungen lösen zu können.

Am Fuß des Burghügels hat sich das Team ein Lager mit Bauwagen eingerichtet. Dort wird die Erde sorgsam nach Fundstücken durchsiebt. Bunt glasierte Kacheln, Bruchstücke von Krügen, Scherben von Töpfen und Tellern und Eisenteile werden gereinigt, fotografiert, abgezeichnet und katalogisiert. »Wie bei einer kriminalistischen Tatortuntersuchung geht es darum, vor Ort möglichst viele Spuren zu sichern und zu dokumentieren«, erklärt Rosmanitz, der hofft, daraus eines Tages eine kleine Burgengeschichte zusammensetzen zu können.

Steinzeitkeil gefunden

Eins steht für den Archäologen jetzt schon fest: »Die Ketzelburg war nur kurze Zeit besiedelt.« Darauf deute die relativ geringe Menge an gefundener Keramik hin, die zumeist aus der Zeit um 1200 stamme. Leider seien die Scherben stark zerstört, da sie Jahrhunderte lang in saurer Erde gelegen haben.

Um so erstaunlicher ist ein Fund, den Emil Albert vom HGV gemacht hat. Zwischen den Fundamentmauern fand er einen so genannten Schuhleistenkeil, ein steinzeitliches Werkzeug. Rosmanitz vermutet, dass der Burgbauer das Relikt aus grauer Vorzeit zweckentfremdet als Talisman - möglicherweise als Blitzableiter - eingebaut hat.

Die Burg scheint nach Rosmanitz' Ansicht mit Absicht aufgegeben worden zu sein, da er keine Brandspuren oder Zerstörungshorizonte nachweisen konnte. In den Humusschichten seien zwar wenige Scherben vom Ende des 14. Jahrhunderts aufgetaucht, doch sei eine längere Wiederbesiedelung des Burgbergs in dieser Zeit auszuschließen. Definitiv vom Tisch sei die Vermutung, die Burg könne auf eine Anlage der Kelten zurückgehen.

Es bleiben offene Fragen. »Wir wissen nicht, ob und womit die Vorburg bebaut war«, so Rosmanitz. Auch die Umwehrung der ganzen Anlage mit einem Palisadenzaun sei bisher nur Vermutung. Immerhin: In einem der Suchschnitte zeichnete sich die Standspur eines Holzpfostens ab.

»Endlich der Beweis«

Die Helfer, fast alle rüstige Pensionäre aus Haibach, sind mit Eifer bei der Sache. »Die Spannung war groß, was wir antreffen würden«, berichtet Emil Albert. Alle haben sie als Kinder auf dem Ringwall

gespielt oder nach vergrabenen Schätzen geforscht. »Jetzt«, sagt er strahlend, »ist endlich der Beweis für die Burg da.«

Ungeklärt bleibt die Frage, wer die Burg bewohnt und weshalb er sie schon bald wieder aufgegeben hat. »Die Historiker wissen aber jetzt, in welchem Zeitfenster sie forschen müssen«, ist Rosmanitz zuversichtlich, der Spurensuche in den Urkunden einen Impuls zu geben.

Schon Peter Endlich hatte die mittelalterliche Natur der Anlage erkannt. Zuletzt widmete sich der Kronberg-Gymnasiast Oliver Schreiber 2001 in einer Facharbeit der Ketzelburg. Der Historiker Wolfgang Hartmann sieht deren Erbauung im Kontext eines Machtkampfes zwischen dem Erzstift Mainz und den kaisertreuen Grafen von Rieneck, der sich Ende des 12. Jahrhunderts im Raum Aschaffenburg zuspitzte. In Erlenbach ließen sich die Reichsministerialen von Kesselberg nachweisen, die vielleicht etwas mit der Ketzelburg zu tun haben.

Reste werden zugeschüttet

Die Ausgrabungen können laut Rosmanitz einen Beitrag leisten, Licht in ein dunkles Kapitel der Spessartgeschichte zu bringen: Am 29. Mai werden die Ergebnisse vor Ort vorgestellt. Anschließend werden die Reste der »Ketzelburg»« wieder zugeschüttet, um sie als Bodendenkmal zu erhalten.

 


So ähnlich muss die Burg ausgesehen haben: Grabungsleiter Harald Rosmanitz wertet die Funde von der Haibacher Ketzelburg aus und zieht erste Schlussfolgerungen.

 


Fenster In die Vergangenheit: Deutlich zu sehen Ist das freigelegte Fundament des mittelalterlichen Wohnturms auf der Kuppe des Haibacher Schlossbergs.


 

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