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Culture 2000

European Union

 

Europäische Impulse

Vom 11. bis 18. Juni 2002 besuchten Gerhard Ermischer und Harald Rosmanitz vom Projekt "Pathways to Cultural Landscapes" (PCL) die Kollegen in Estland. Da im Laufe dieses Projekts kein eigenes Meeting in Estland abgehalten werden kann, war dies eine wichtige Gelegenheit für uns, das estische Partnerprojekt ausführlich kennen zu lernen und uns über die interessanten und manchmal nicht ganz einfachen historischen, politischen und sozialen Hintergründe dieser Landschaft zu informieren. So fuhren wir gemeinsam mit Ants Kraut und Helle Solnask direkt vom Flughafen Tallinn auf die Insel Saaremaa (Ösel), unsere Partnerregion.

Estland scheint heute vielen Menschen in Westeuropa ein fernes Land zu sein. Tatsächlich aber war es Jahrhunderte lang aufs Engste mit Deutschland, Dänemark und Schweden verbunden, war das Baltikum ein Zentrum des Handels und Kulturaustauschs. Estland steht geradezu symbolhaft für die keineswegs geradlinige Geschichte Europas. Als unsere estischen Freunde uns eine Baumscheibe aus dem Krater von Kaali zur Verfügung stellten, um sie in unserer Wanderausstellung zu präsentieren, markierten sie die Jahrringe für das Jahr 1219 - den Beginn der Eroberung Estlands durch deutsche, und später auch dänische Kreuzfahrer. Das Jahr markiert den Beginn von Jahrhunderten der Fremdherrschaft und Fremdbestimmung, aber eben auch den Beginn eines engen Kontaktes mit den Handels- und Kulturzentren Europas. Die Mehrdeutigkeit historischer Ereignisse könnte nicht deutlicher werden.

Estland wurde seither von Deutschen, Dänen, Schweden und Russen beherrscht. Erst ein blutiger Krieg infolge der Oktoberrevolution von 1917, in dem Esten für ein freies Estland, deutschstämmige Esten für ein deutschbeherrschtes Estland, Esten und Russen in der Roten Armee für eine sozialistische Utopie kämpften, brachte Estland die Unabhängigkeit - für kurze Zeit. In Folge des Hitler-Stalinpakts kam Estland unter sowjetische Herrschaft, mussten viele deutschstämmige Esten sich zwischen Auswanderung ins Reich und Russifizierung entscheiden. Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges von Deutschland besetzt und von der Roten Armee erobert zerplatzte der kurze Traum von der Unabhängigkeit erneut - und brachen die stalinistischen Säuberungen über Esten aller Sprachgruppen gleichermaßen herein. Doch kaum bot sich durch Perestrojka und Glasnost eine Möglichkeit, nutzten die Esten sie mutig und mit diplomatischem Geschick zur Erringung ihrer Freiheit. Heute, nach einem Jahrzehnt der Unabhängigkeit, ist Estland einer der fortgeschrittensten Beitrittskandidaten zur EU.

Saaremaa stellt als Insel innerhalb Estlands einen Fokus dieser Geschichte im Kleinen dar. Hier fanden die wichtigsten Kämpfe zur Eroberung Estlands im Mittelalter statt. Die Zaren sahen in der Insel eine besondere strategische Bedeutung und bauten sie zur Festung aus - mit einer eigenen Militäreisenbahn. Als Estland am Ende des Zweiten Weltkrieges von der Roten Armee besetzt wurde floh etwa ein Drittel der Bevölkerung Saaremaas über das Meer in das benachbarte Finnland. In der Folge wurde die gesamte Fischereiflotte der Insel zerstört. Als Grenzgebiet unterlag Saaremaa besonders strengen Regeln. Nur noch kleine Boote waren zugelassen, die sich auch nur tagsüber und nahe der Küste bewegen durften. Erneut wurde die Insel zur militärischen Festung: Flughafen der strategischen Luftstreitkräfte der Sowjetunion und Stationierungsort für atomare Mittelstreckenraketen. Viele Menschen aus den Dörfern an der Küste wurden abgesiedelt, ein Besuch der Insel war nur mit einer besonderen Genehmigung möglich, und auch dann nur für tageweise. Heute sind die geheimen Städte, die Bunker und Silos der Atomraketen von Unkraut überwuchert. Man denkt darüber nach, sie touristisch zu nutzen. Und tatsächlich kann man sich als Besucher aus dem Westen kaum des Gruselns erwehren, wenn man vor den leeren Betonröhren steht, in denen einst die berühmten SS21 auf ihren fahrbaren Lafetten gelagert waren.

Blieben die Atomraketen auch Episode, so war Estland schon vor Jahrtausenden Schauplatz einer kosmischen Katastrophe. In der Bronzezeit schlug auf der Insel Saaremaa ein Meteorit ein und löste eine Welle der Zerstörung aus. Das Meteoritenfeld von Kaali ist das Herzstück unseres estischen Partnerprojekts. Hier konnten wir uns von den großen Fortschritten überzeugen, die seit unserem Vorgängerprojekt European Cultural Paths (EPC) 1998 gemacht wurden. Der Wald am Hauptkrater ist ausgelichtet, die Spuren der Nutzung als Opferplatz in der späten Bronze- und Eisenzeit sind wesentlich besser sichtbar, der Zugang zum Kratersee durch eine praktische und dezente Treppenanlage erleichtert. Zahlreiche Nebenkrater sind nunmehr sichtbar und zugänglich gemacht, so dass man ein wesentlich besseres Bild von der Wucht der Detonation bekommt. Schilder und Faltblätter in mehreren Sprachen erläutern die verschiedenen Zeitspuren im Gelände. Dank privater Initiative wurde ein Gebäude nahe des Kraters renoviert und zur Ausfluggasstätte ausgebaut. In naher Zukunft soll in der Nähe des Meteoritenkraters ein Besucherzentrum entstehen, in dem das Ereignis des Meteoriteneinschlags wie die Geschichte dieser besonderen Landschaft durch die Jahrtausende eindrucksvoll vermittelt wird. Es war sicher auch der Anwesenheit der Vertreter des europäischen Partnerprojekts zu verdanken, dass anlässlich unseres Besuchs erstmals alle Beteiligten gleichzeitig anwesend waren und gemeinsam diskutierten.

Der „Runder Tisch“ mit Beteiligten aus der kommunalen Verwaltung, der Region, dem Denkmalamt, der Naturschutzbehörden, dem Tourismus, private Unternehmer darf als entscheidender Schritt bei der weiteren Gestaltung des Areals gesehen werden.

Bei der anschließenden Besichtigung des Kraters konnten wir uns selbst von der Faszination dieses Ortes überzeugen. Schon in der Bronzezeit wurde der Kraterrand befestigt, der Kratersee wohl als Opferplatz genutzt. In der Eisenzeit wurde der gesamte Krater mit einer mächtigen Steinmauer umgeben. Aber er regte auch die Fantasie der Menschen in der Neuzeit an. So begegneten wir dem Teufel von Kaali - einer Verwachsung in einem Baum, die wie ein Teufelskopf aussieht. Sie soll an ein Geschwisterpaar aus dem nahen Herrenhaus erinnern, das sich in inzestuöser Liebe zugetan war, und sogar eine offizielle Hochzeit abhielt. Doch soll sich der Teufel auf den Kutschbock der Brautkutsche geschwungen haben, und das Paar direkt in den Kratersee gefahren haben, wo es elendiglich ertrank. In der Sowjetzeit erhielt der Krater erneut eine besondere Bedeutung für Ehepaare. Als Ersatz für die nun verpönte kirchliche Trauung wurden frischvermählte Paare an den Kraterrand geführt, wo sie ihre Namen auf einen Zettel schrieben, in eine Sektflasche steckten und im Kratersee versenkten. Zukünftige Archäologen werden einige Überraschungen erleben, wenn sie dem Kratersee seine Geheimnisse zu entlocken suchen...

Zurückgekehrt nach Tallinn konnten wir uns auch hier von der großen Leistung estischer Denkmalpflege überzeugen. Wer heute durch die Straßen der Tallinner Altstadt schlendert, umschlossen von einem nahezu intakten mittelalterlichen Mauerring mit zahlreichen Türmen und Toren, der bekommt den Eindruck einer wohlerhaltenen und liebevoll restaurierten Hansestadt. Die Entwicklung, die Tallinn in den vergangenen Jahren gemacht hat, ist wahrhaft beeindruckend. Hier trafen wir auch im Ministerium für Kultur Staatssekretär Anton Pärn, dem wir nicht nur unsere frischen Eindrücke schilderten, sondern mit dem wir uns auch ausführlich über die zukünftige Entwicklung in Kaali unterhielten. Anschließend wurden wir vom Vorsitzenden des Kulturausschusses im Estischen Parlament empfangen. Im Schatten des Langen Hermann, eines Turms der Bischofsburg der zum Symbol estischer Unabhängigkeit wurde, diskutierten wir fast zwei Stunden lang im Garten des Parlaments. Wir können die freundliche und offene Art unserer Gesprächspartner im Ministerium und im Parlament von Estland nicht genug hervorheben. Dass sich so hochrangige Politiker so viel Zeit für intensive Gespräche mit uns genommen haben, zeigt nicht nur die Wertschätzung, die man unserem europäischen Projekt hier entgegenbringt, sondern auch die hohe politische Kultur einer jungen Demokratie, in der Strukturen noch nicht so verfestigt, volksfern und abgeschottet sind.

Insgesamt fanden wir unsere Reise nach Estland unglaublich spannend und interessant. Ein Wort zum hervorragenden Organisationstalent unserer Partner von der Estnischen Denkmalpflege: Helle und Ants erarbeiteten ein vielgestaltiges und umfassendes Besuchsprogramm, bei dem großer Wert auf die Kontaktfindung und den Meinungsaustausch gelegt wurde. Damit war es möglich, unsere Partnerregion nicht nur aus Sicht des Touristen, sondern auch aus der Sicht der Verantwortlichen vor Ort umfassend kennen zu lernen. Tief beeindruckt und mit einem großen Gefühl der Sympathie für dieses kleine Land traten wir die Rückreise an.

 

Impressions

Program

 
design: Kai M. Wurm
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